Friedensnobelpreis 1922: Fridtjof Nansen

Friedensnobelpreis 1922: Fridtjof Nansen
Friedensnobelpreis 1922: Fridtjof Nansen
 
Der norwegische Polarforscher und Politiker erhielt den Friedensnobelpreis für sein humanitäres Wirken nach dem Ersten Weltkrieg.
 
 
Fridtjof Nansen, * Gut Mellum-Froen (bei Oslo) 10. 10. 1861, ✝ Lysaker (bei Oslo) 13. 5. 1930; Polarforscher, Zoologe, Ozeanograph und Diplomat, 1906-08 norwegischer Gesandter in Großbritannien, 1908-30 Professor für Zoologie und Ozeanographie an der Universität Oslo, 1921-23 Hochkommissar des Völkerbunds.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Der Friedensnobelpreisträger von 1922 war eine weltberühmte Persönlichkeit. Jedermann kannte den norwegischen Nationalhelden Fridtjof Nansen als einen Pionier der Polarforschung. 1888 hatte er erstmals für Aufsehen gesorgt, als er mit einem Hundeschlitten das 3000 Meter hohe Binneneis Grönlands von Ost nach West durchquert hatte. Noch spektakulärer war die Expedition in Richtung Nordpol mit dem Forschungsschiff »Fram« gewesen (1893-96). Zwar scheiterte der Versuch, den Nordpol auf Schlitten zu erreichen, doch war niemand zuvor dem Pol so nahe gekommen wie Nansen. Diese und weitere Forschungsreisen im Nordatlantik brachten ihm 1908 eine Professur für Zoologie und Ozeanographie an der Universität Oslo ein.
 
Zu diesem Zeitpunkt war Fridtjof Nansen auch politisch bereits hervorgetreten, wobei ihm seine Popularität großen Einfluss verschaffte. 1905 schaltete er sich aktiv in die Debatten um die Loslösung Norwegens von Schweden ein, und von 1906 bis 1908 war er Botschafter seines Landes in Großbritannien. Im Ersten Weltkrieg versuchte er die USA dafür zu gewinnen, sich für die Interessen Norwegens einzusetzen.
 
 Im Auftrag des Völkerbunds
 
Nach dem Ende des Kriegs wurde Nansen zu einem entschiedenen Verfechter des neuen Völkerbunds. Bald stellten sich ihm bedeutende humanitäre Aufgaben. Vor seine erste Bewährungsprobe auf diesem Tätigkeitsfeld wurde Nansen 1920 gestellt, als der Völkerbund ihn mit der Rückführung der Kriegsgefangenen beauftragte. Zwei Jahre nach Ende des Weltkriegs gab es immer noch Hunderttausende von Soldaten, die auf die Rückkehr in ihre Heimat warteten. Besonders gravierend waren die Verhältnisse in Russland, wo sich zahlreiche deutsche und österreichisch-ungarische Soldaten in Kriegsgefangenschaft befanden. Durch persönliche Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungsvertretern und mit großem organisatorischem Aufwand gelang es Nansen, den meisten Soldaten die Heimkehr zu ermöglichen.
 
Eine andere Folge des Kriegs war das Elend der Flüchtlinge. Zahllose Menschen hatten in den Wirren des Kriegs ihre Heimat verloren und lebten in materieller Not und ohne Rechte in der Fremde. Zusätzlich hatte in Russland die Revolution von 1917 zu Chaos und Bürgerkrieg geführt, und überall in Europa suchten Revolutionsflüchtlinge — Schätzungen zufolge handelte es sich um weit mehr als eine Million Menschen — Zuflucht.
 
Vom Völkerbund, dem Roten Kreuz und anderen internationalen Organisationen erhielt Fridtjof Nansen, mit dem Titel eines Hochkommissars versehen, im Juni 1921 den Auftrag, nach einer Lösung des Flüchtlingsproblems zu suchen. Nansen musste bei seinen Verhandlungen einige Rückschläge hinnehmen, weil sich viele Regierungen weigerten, Flüchtlinge aufzunehmen.
 
Als Glücksgriff erwies sich jedoch seine Idee, einen speziellen Pass für die Flüchtlinge einzuführen. Mit diesem so genannten Nansen-Pass, der schließlich von 52 Staaten anerkannt wurde, fanden Tausende von staatenlosen Flüchtlingen eine neue Heimat und neue Zukunftsperspektiven. Aus der Organisation, die Nansen zur Bewältigung dieser immensen Aufgabe gegründet hatte, ging später das »Internationale Nansenamt für Flüchtlinge« hervor, das 1938 für seine Tätigkeit im Dienste der Flüchtlingshilfe mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
 
 Humanität als oberstes Prinzip
 
Noch während Nansen mit der Rückführung der Flüchtlinge beschäftigt war, wurde er mit einer neuen humanitären Aufgabe konfrontiert. Dürre und Missernten hatten in dem von den Nachwirkungen der Revolution ohnehin erschütterten Russland zu einer großen Hungersnot geführt. 21 Millionen Menschen drohte der Tod durch Verhungern, Seuchen brachen aus. Bei den westlichen Regierungen hielt sich die Hilfsbereitschaft in Grenzen, weil man in der Not der Menschen eine Chance sah, das ungeliebte sozialistische Herrschaftssystem in Russland zu schwächen. Die USA sagten zwar Unterstützung zu, knüpften diese aber an politische Bedingungen. Trotz eindringlicher Appelle Nansens war auch der Völkerbund nicht dazu zu bewegen, Sowjetrussland ein Darlehen zu gewähren. Nansen aber ordnete die politischen Bedenken den humanitären Aspekten unter und setzte im August 1921 in Moskau ein internationales Hilfskomitee ein. Mit der Unterstützung überwiegend privater Sponsoren gelangten umfangreiche Getreidelieferungen in die Hungergebiete. Auf diese Weise konnte Millionen von Menschen das Leben gerettet werden.
 
Spätestens jetzt war Fridtjof Nansen zur ersten Adresse geworden, wenn es um internationale Hilfsleistungen ging. So verwundert es nicht, dass man wieder auf sein Engagement und seine Kreativität setzte, als sich 1922 ein neues humanitäres Problem stellte. Diesmal ging es um das Schicksal von über einer Million Griechen, die als Folge des Griechisch-Türkischen Kriegs gezwungen wurden, ihre Wohnsitze in Kleinasien zu verlassen. In zähen Verhandlungen und mit Unterstützung des Völkerbunds gelang es Nansen, den vertriebenen Griechen eine neue Existenz im Mutterland oder in anderen Ländern zu verschaffen und im Gegenzug die Türken, die bis dahin in Griechenland gelebt hatten, in der Türkei anzusiedeln.
 
Dieses Paket an in kürzester Zeit vollbrachten humanitären Leistungen war es, das das Nobelpreiskomitee dazu veranlasste, Nansen mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Der damals 71-jährige Preisträger spendete das Preisgeld der internationalen Flüchtlingshilfe. Sein letztes größeres Engagement war jedoch weniger von Erfolg gekrönt. 1925 machte er sich zum Interessenvertreter des von den Sowjets und von der Türkei bedrohten armenischen Volks, doch fanden seine Pläne nicht die Unterstützung des Völkerbunds.
 
Als eine folgenreiche politische Initiative Nansens hat dagegen sein Eintreten für die 1926 erfolgte Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund zu gelten. Ein Ende der Isolation Deutschlands sah er als Voraussetzung für eine tragfähige europäische Nachkriegsordnung an. Grundbedingung dafür war in seinen Augen eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich. An dieser war Nansen aktiv beteiligt, indem er hinter den Kulissen die führenden Politiker Aristide Briand und Gustav Stresemann dazu brachte, die Gegensätze zwischen den beiden Staaten zu überwinden. Insofern hat Fridtjof Nansen auch einen wesentlichen Anteil daran, dass Briand und Stresemann den Friedensnobelpreis von 1926 erhielten.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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